Standing Ovations für eine außergewöhnliche Inszenierung


Ein 7,5-Tonner als Bühne, links und rechts Stapel von alten Autoreifen, buntes Makeup und Techno-Songs – die tollMut-Inszenierung des Theaterstücks „Julia und Romeo“ rückt die altbekannte Liebestragödie in dystopisches Licht. Voller Emotionen präsentierten die Schauspielerinnen und Schauspieler des Siegener Bruchwerk-Theaters die Geschichte von zwei Liebenden aus den zwei verfeindeten Familien Montague und Capulet, wobei nicht nur körperliche Zärtlichkeiten, sondern auch gewaltsame Konflikte und provokante Dialoge ausgetauscht wurden. „Dass es Laientheater war, hat man nicht gemerkt. Es war sehr professionell“, sagte Claudia Winter aus Allendorf, die gemeinsam mit ihrer Freundin Bettina Urban das zweistündige Theaterstück besucht hatte. „Man hat die Leidenschaft gespürt“, fügte Bettina Urban hinzu. Mit Standing Ovations bedankte sich das Publikum bei den Talenten des Ensembles.

Die Idee lehne sich an die früheren Wandertheater an, nur dass anstelle einer Kutsche ein Lkw gewählt wurde, heißt es von Regisseur David Penndorf in einem WDR-Beitrag der Lokalzeit Südwestfalen. In sechs Städten (Siegen, Freudenberg, Plettenberg, Erndtebrück, Haiger und Hilchenbach) macht das fünfzigköpfige Team von Theaterschaffenden des TollMut-Ensembles mit seinem gemieteten Truck Halt. „Wir waren gespannt auf die Reaktionen, die diese außergewöhnliche Inszenierung des Theaterstücks in Haiger hervorrufen wird. Andauernder Applaus und lobende Kommentare waren das Ergebnis. Wir freuen uns, dass so viele Bürgerinnen und Bürger die Chance genutzt haben und sich die neue Interpretation des Shakespeare-Stücks angeschaut haben“, resümierte Andreas Rompf, Fachdienstleistung des städtischen Kulturamtes. Bereits mehrere Stunden vor Start der Aufführung bereitete die Gruppe des Siegener Bruchwerk-Theaters das aufwendige Bühnenbild am Spielort in Haiger vor: 200 Publikumsstühle, Licht- und Tontechnik und ein Lkw mit gestaltetem Vorplatz verwandelte den Marktplatz Haiger in ein Freilicht-Theater. Währenddessen bereiteten sich auch die neun Schauspielenden und die sieben Tänzerinnen auf ihre Rollen vor – als schließlich die Verona-Kulisse und die Kostüme finalisiert waren, konnten die Besucher schon hautnah dabei sein, wie sich die Darsteller auf ihren großen Auftritt mental und stimmlich vorbereiteten.

Parallelen zum Ukraine-Krieg in Inszenierung eingebaut

Für eineinhalb Stunden schlüpften die Darsteller in Shakespeares Charaktere, die jede Menge Mut und Emotionen erforderten. So gab es beispielsweise wilde Gefechte zwischen Mercutio (Simon Kusy) und Tybalt Capulet (Maria Odoevskaya) sowie leidenschaftliche Küsse der Protagonisten Julia Capulet (Leona Scholl) und Romeo Montague (Adrian Serban). Anlehnend an die heutige Zeit des Ukraine-Russland-Krieges wurden die Techno-Popsongs in ukrainischer und russischer Sprache gewählt, sodass die Feindschaft zwischen den Familien Montague und Capulet ebenfalls eine Symbolfunktion für die Situation in Osteuropa einnimmt. Im Fokus der Darbietung stand auch der jugendliche Ausbruch der Hauptfigur Julia. „Als Monstrum war die Liebe geboren, da ich mir den Sohn des Feindes erkoren“, mit diesen Zeilen beschrieb Julia die Last ihrer Liebe zu Romeo. Ihr Vater droht, sie aus der Familie zu verstoßen, wenn sie die Heirat mit Fürst Paris (Mirjam Theil) verweigert. Julias Akt der Selbstbestimmung, den eigenen Tod vorzutäuschen und somit einer Hochzeit zu entkommen, ist– wie jeder Shakespeare-Kenner weiß - zum Scheitern verurteilt: Ein gemeinsames Leben ist den jungen Liebenden nicht vergönnt. Nach dem schockierende Finale herrschte kurzweilig Stille im Publikum, die innerhalb weniger Atemzüge in anhaltenden Applaus mündete. Den Schauspielenden war die Freude über die Reaktionen ins Gesicht geschrieben – die Arbeit wurde mit Standing Ovations belohnt.