Parlament entscheidet: Hessentag wird aus Pandemie-Gründen abgesagt


Seit Mittwoch, 19.08 Uhr, steht es fest: Der Hessentag 2022 in Haiger wird Pandemie-bedingt abgesagt. Das hat die Haigerer Stadtverordnetenversammlung mit überwältigender Mehrheit (31 Ja-Stimmen) beschlossen. Bereits der Magistrat und der Ausschuss „Haupt, Finanz und Hessentag“ hatten in der vergangenen Woche einstimmig für eine Absage des größten deutschen Landesfestes votiert. Angesichts steigender Corona-Zahlen und zahlreicher Unwägbarkeiten sei eine Ausrichtung des Hessentages, ohne dass eine Gesundheitsgefährdung durch die Infektionsgefahr auszuschließen ist, nicht sinnvoll, hatte der Magistrat erklärt. Dieser Einschätzung folgte auch das Parlament, das den folgenden Beschlussvorschlag mit 31 Ja-Stimmen (von 33 anwesenden Stadtverordneten bei einer Enthaltung und einer Nein-Stimme) annahm.

Wie Bürgermeister Schramm in der Sitzung erklärte, hatte sich der Magistrat nach reiflicher und intensiver Abwägung entschlossen, dem Parlament die Absage des Hessentages 2022 zu empfehlen. Die Absage erfolgt Pandemie-bedingt. „Die Entscheidung ist uns sehr schwergefallen, aber leider unumgänglich“, sagte Schramm: „Die Stadt Haiger darf kein Ansteckungsherd sein. Die potenzielle Ansteckungs- und Verbreitungsgefahr, wenn wir hunderttausende Menschen aus allen Regionen Hessens und Deutschlands zu uns einladen und sich Menschen auf engstem Raum begegnen, halten wir für nicht vertretbar.“ Dies gelte gerade angesichts der aktuellen Fallentwicklungen und der Empfehlungen von RKI und Bundesregierung.

Zum Gesundheitsschutz der Besucher und aller Beteiligten gelte es zu verhindern, dass ein weiterer, schwer einzudämmender Infektionsherd geschaffen werde. „Einem solchen Szenario, das wir nach den Erfahrungen in der Pandemie sowie den Hinweisen der Fachleute für realistisch halten, steht die Durchführung des Hessentages diametral entgegen.“ Die Empfehlungen des RKI und der Bundesregierung lauteten aktuell, von Veranstaltungen dieser Größenordnung unbedingt abzusehen. „Wir als Veranstalter, die wir eine übergeordnete Verantwortung für die Gesundheit unserer Besucher und Bevölkerung tragen, müssen diesen Empfehlungen folgen und unseren Beitrag zu einer nachhaltigen Pandemiebekämpfung leisten“, sagte Schramm: „Wir können die sichere Durchführung einer Veranstaltung dieser überragenden Größenordnung nicht gewährleisten.“

Auch – und dies komme ganz aktuell hinzu – habe die Stadt besondere Sorge zu tragen, dass die neueste Omikron-Welle nicht die „kritischen Infrastrukturen“ zum Erliegen bringe. Die Entwicklungen um Omikron lassen laut Expertenrat befürchten, dass ein relevanter Teil der Bevölkerung zeitgleich erkranke. Dies berge Risiken für die Handlungsfähigkeit der kritischen Infrastrukturen – zu denen unter anderem Rathaus, Stadtwerke und Feuerwehr zählen. „Oberste Priorität hat, dass diese Institutionen weiter handlungsfähig bleiben.“ Dem stehe entgegen, wenn nunmehr – in der ganz heißen Phase der Planung – Mitarbeiter für das Projekt Hessentag gebunden werden, die bei abzusehendem Personalnotstand zur Aufrechterhaltung der Verwaltung an anderer Stelle benötigt werden. Die Stadt folge damit einer Empfehlung der Landesregierung, umfassende Vorbereitungen zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit in den kritischen Infrastrukturen zu treffen.

Dem Magistrat sei bewusst, dass diese Entscheidung viele Bürger, Besucher, Hessentags-Fans und nicht zuletzt Dienstleister und Künstler enttäuschen werde. „Auch wir und unser Organisationsstab haben eine Menge Herzblut in die Planungen gesteckt und waren in den vergangenen Monaten guten Mutes, dass wir den Hessentag 2022 realisieren können“, sagte Schramm. Aber leider mache die aktuelle Corona-Entwicklung einen Strich durch die Rechnung. „Wir sind gemeinsam einer wunderbaren Idee gefolgt, doch leider können wir an dieser Idee nicht festhalten“, fasste Schramm zusammen. Der Magistrat schlage dem Parlament vor, zeitnah über eine Neubewerbung für den Hessentag - z.B. für 2028, wenn Haiger seinen 1250. Stadt-Geburtstag begeht - zu beraten und zu entscheiden.

Weitere Kommentare zum Thema Hessentag/Pandemie

Bernd Seipel (CDU/Stadtverordnetenvorsteher): „Gewohnte Feste gehören der Vergangenheit an, das sind keine erfreulichen Lebensumstände. Wir haben in vielen Gremien Argumente gesucht, die es möglich machen, die Planungen fortzuführen und den Hessentag weiter im Blick zu halten. ‚Zuversicht für das Morgen‘ ist wichtig - aber Zuversicht mit geschlossenen Augen können wir uns nicht leisten. Wir brauchen Bezugspunkte, an denen etwas festgemacht werden kann – aber diese fehlen im Moment total. Weitere Planungen wären Fatalismus. Wir dürfen nicht auf eine verkrampfte, angstbesetzte Planung und Ausrichtung des Festes zusteuern - das kann keiner wollen. Aufgrund der Unwägbarkeiten müssen wir uns schweren Herzens von der wunderbaren Veranstaltung verabschieden.“

Matthias Hain (CDU, Vorsitzender HFH-Ausschuss): „Wir wollten mit dem Hessentag die Entwicklung der Stadt nach vorne bringen und die Region und die Stadt bekannt machen. Angesichts einer Pandemie von apokalyptischem Ausmaß erscheint der Hessentag jetzt sehr weit weg. Personalausfälle in dieser schwierigen Zeit wären kaum zu kompensieren. Unsere erste Aufgabe ist es, die Verwaltung für die Bürgerschaft aufrechtzuerhalten. Wir sind willens und in der Lage, das Fest auszurichten. Wir wollen allerdings auch ein Fest ausrichten, an das man sich in 20 Jahren noch gern erinnert – und nicht den größten Maskenball aller Zeiten. Das Fest sollte die Menschen zusammenführen, und das kann unter Corona-Bedingungen kaum gelingen. Corona hat uns das Fest verdorben.“

Jürgen Weber, SPD: „Es ist ein Akt der Vernunft, den Hessentag für 2022 abzusagen. Hauptgrund ist Corona. Die kritische Infrastruktur aufrechterhalten und gleichzeitig in die Endphase der Festvorbereitung eintreten – das kann die Kommune nicht stemmen. Ein Fest, bei dem Menschen zusammenkommen sollen, ist unter diesen Gesichtspunkten emotional schwierig. Das macht mich traurig, aber es bedeutet nicht eine Absage für immer.

Rebecca Neuburger-Hees, CDU: „Wir sollten eine vernunftbasierte Entscheidung treffen. Eine Absage wäre sehr bedauerlich, weil der Hessentag eine Super-Chance für diese Stadt ist. Aber angesichts der aktuellen Situation ist es eine alternativlose Entscheidung. Wir danken allen Beteiligten, die sich für den Hessentag eingesetzt haben. Auch dem Hessentagspaar Lisa und Felix und allen Firmen, die sich engagieren wollten. Jetzt gilt es, einen geordneten Rückzug zu organisieren.“

Carsten Seelmeyer, FDP: „Wir sind Hessentag und wollen es gerne bleiben. Ich bleibe beim JA zum Hessentag. Vielleicht kann er ja ein wenig später stattfinden. Zum Beispiel 2028 zum Stadtjubiläum. Die FDP steht für eine Neubewerbung, wenn alles geprüft und abgearbeitet worden ist. Viele in der Verwaltung und darüber hinaus haben bis zur letzten Sekunde an dem Projekt gearbeitet.“

Rainer Binde, FWG: „Die Situation hat sich seit Dezember schlimmer entwickelt als wir es befürchtet haben. Es ist ein Gebot der Vernunft, jetzt die Reißleine zu ziehen. Wir werden in diesem Sinne keinen Hessentag feiern können.“ 

Jörg Hain, FWG: „Wir hätten gerne einen Hessentag ohne jegliche Einschränkungen gefeiert. Aber das geht angesichts der Pandemie nicht. Deshalb sagen wir ab, weil wir uns unserer Verantwortung bewusst sind.“

Michelle Reiß, SPD: „Wir treffen heute eine Entscheidung der Vernunft. Ich danke allen Beteiligten. Ich glaube, es sind viele positive Kontakte entstanden, die uns nicht verloren gehen. Deshalb sollten wir über eine Neubewerbung nachdenken.“  

Jochen Schneider, FWG: „Die Vernunft hat gesiegt!“ 

Wolfgang Schuster (Landrat des Lahn-Dill-Kreises): "Wir leben in einer Pandemie. Die aktuelle Inzidenz liegt bei 632. Den höchsten Wert seit zwei Jahren. Vermutlich wird die Inzidenz im Sommer deutlich geringer ausfallen. Es gibt aber keine Garantie. Ziel allen staatlichen Handelns ist es, dass Gesundheitswesen, den Rettungsdienst, die Hilfsorganisationen und Rettungsdienste, die Polizei sowie die gesamte kritische Infrastruktur nicht zu überfordern und einsatzfähig zu halten. Ich hätte gerne als Landrat am dritten Hessentag im Lahn-Dill-Kreis in meiner Amtszeit teilgenommen. Das wäre wünschenswert gewesen. Wir müssen uns in einer Pandemie auf das Notwendige beschränken. Und ein Hessentag ist leider nur wünschenswert. Wir alle sollten die Entscheidung der Stadt Haiger respektieren."

Hinweis: Die Stimmen wurden unter anderem in der Sitzung des HFH-Ausschusses am 12. Januar und der Parlamentssitzung am 19. Januar gesammelt.