Zeitzeugenvideo

Zweiter Weltkrieg: Zeitzeugen berichten

„Wir haben vergeben und uns wurde vergeben - aber wir dürfen nicht vergessen“ – mit diesen Worten fasste Stadtverordnetenvorsteher Bernd Seipel (CDU) eine Gedenkstunde anlässlich der Bombardierung der Stadt Haiger und heutiger Stadtteile zusammen. Im Vorfeld der Stadtverordnetenversammlung kamen Zeitzeugen zu Wort, die eindrucksvoll an die Schrecken des Krieges erinnerten. „Was man als Kind erlebt hat, das wird man nie vergessen. Ich bin dankbar dafür, dass man die Vergangenheit in Haiger nicht vergisst und wir wissen, woher wir kommen“, sagte Rolf Monno, der als Schulkind die Bombardierung erlebt hatte.

Bernd Seipel erinnerte daran, dass am 12. März 2020 eine Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Bombardierung in der katholischen Kirche geplant war. Aufgrund der seinerzeit gerade beginnenden Corona-Gefährdungslage musste die Veranstaltung abgesagt werden. Der Parlamentspräsident bezeichnete es als eine Ehre, einige Zeitzeugen sowie Autoren begrüßen zu können, die an dem Buch „Als der Krieg nach Haiger kam“ (in der Stadtbücherei erhältlich für zehn Euro) mitgearbeitet hatten.

„Wir sind froh, dass Menschen aufgeschrieben haben, was der Stadt widerfahren ist”

„Wir sind froh, dass Menschen aufgeschrieben haben, was der Stadt und den Bürgern widerfahren ist“, sagte Seipel und begrüßte die Zeitzeugen Hanna Thielmann und Ilse Eichler sowie die Autoren Hannelore Benz, Erich Cuntz, Hans-Georg Kring, Rolf Monno, Joachim Moos, Horst Pulverich, Harro Schäfer und Fred Schnepper. 

„Muss man erinnern an Ereignisse, die vor fast 80 Jahren die Stadt betroffen haben? Das ist doch abgehakt“, fragte Seipel provokant und gab sich selbst die Antwort: Ja, man muss! „Wir waren der Überzeugung, dass sich solche Ereignisse nicht wiederholen können – und wir durchleben aktuell angesichts der Ereignisse in der Ukraine einen bitteren Lernprozess.“ Die Vergangenheit sei nicht erledigt. Seipel: „Wir, die heute Lebenden, haben die Pflicht, Erinnerung in Wort, Schrift und Bild wachzuhalten und zu transportieren - weil wir aus der Geschichte viel lernen könnten.“ Das Gedenken in der Parlamentssitzung könne dazu einen Beitrag leisten. „Wir erinnern uns daran, was unseren Vorfahren zugemutet wurde - als Folge eines vom Zaun gebrochenen Krieges durch einen Tyrannen. Ein Diktator im Osten führt uns im Moment vor, wie für undenkbar Gehaltenes sich wiederholen kann.“

Rolf Monno: „Ich habe die Bilder immer noch vor Augen und bin froh, dass ich die Bomben überlebt habe“ 

„Ich habe die Bilder immer noch vor Augen und bin dankbar, dass ich drei Bombardements überlebt habe“, blickte Rolf Monno zurück. Er habe als Kind riesige Ängste gehabt. Nach dem Ruf „Raus, raus Fliegeralarm!“ sei die Schule geräumt worden – „Zwei Minuten später wären 60 Kinder nicht mehr am Leben gewesen“. 

Andreas Rompf, Leiter des Fachdienstes Öffentlichkeitsarbeit, erklärte, Gedenken werde eindrucksvoll, „wenn wir Bilder und Texte vor Augen haben“. Mitarbeiter des Fachdienstes hätten 2020 Kontakt zu Menschen aufgenommen, die die Bombardierung hautnah miterlebt hatten. Interviews wurden gefilmt und von Gernot Schütte (Rodenbach) zu einer kurzen Dokumentation zusammengefügt. Ilse Eichler war als 18-jährige junge Frau in der Bahnhofstraße gegenüber der katholischen Kirche, als die Bomben fielen. Hanna Thielmann (seinerzeit 17) überlebte in einem Keller in der Unteren Hauptstraße, Ulrich Schwehn (14) im feuchten und kalten Bunker unter der evangelischen Stadtkirche. Ludwig Tenne war 12 Jahre alt und gerade noch rechtzeitig in den Bunker in der Hüttenstraße geflohen.

Interviews ungeschönt, natürlich und eindrucksvoll

„Die Interviews von damals sind ungeschönt, natürlich und eindrucksvoll“, sagte Rompf. „Die Zeitzeugen appellieren an alle, aktiv zum Frieden beizutragen.“ „Jeder musste sehen, dass er mit dem Schicksal fertig wurde“, erklärte Hanna Thielmann im Film und erinnerte an eine Familie, die drei Töchter verloren hatte. Die Nazis hätten „das Nationalbewusstsein schamlos ausgenutzt“, meinte Ulrich Schwehn: „Wir müssen uns in Acht nehmen, dass so etwas nie wieder passiert.“ „Wer nicht passte, kam weg“, erinnerte sich  Ludwig Tenne. Ilse Eichler sprach die Hoffnung aus, „dass sowas nie wieder kommt“.

Bürgermeister Mario Schramm dankte nach der kurzen Filmvorführung allen Beteiligten. „Das waren unvorstellbare Ereignisse - ähnlich erging es vermutlich den Ukrainern, die im Februar 2022 überfallen wurden.“ Die Zeitzeugen und Autoren hätten dazu beigetragen, „dass ein sehr wichtiges, lesenswertes und einzigartiges Werk entstanden ist“. Es handele sich um die Zusammenfassung von Berichten aus dem Mitteilungsblatt „Haiger heute“. „Wir wollten sie festhalten, damit nicht vergessen wird, was am 12. März 1945 um 10 Uhr passiert ist.“ Schramm dankte den Autoren für beeindruckende Berichte und Fotos. „Unser Ziel war es, Autoren und Zeitzeugen eine Stimme zu geben, damit diese schrecklichen Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten. Es handelt sich um ein wichtiges Werk, weil Bürger aus Haiger und den heutigen Stadtteilen zu Wort kommen“, sagte Schramm und schloss mit einem Zitat von Richard von Weizsäcker, das dieser am 8. Mai 1985 (40 Jahre nach Kriegsende) geprägt hatte: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, der wird blind für die Gegenwart.“ 

Über 60 Prozent der Stadt wurden zerstört 

Susanne Menges, Mitarbeiterin des Stadtarchivs, erinnerte an eine Ausstellung im Heimatmuseum, die sich mit den Opfern des Nationalsozialismus befasste. Darin sei es auch um die Bombardierungen zwischen September 1944 und März 1945 gegangen. In Haiger seien über 60 Prozent der Kernstadt zerstört worden, aber auch in Rodenbach, Sechshelden und Langenaubach habe es große Schäden und auch Todesopfer gegeben. 

Namen der Opfer dem Vergessen entreißen

„Wir wollten diese Namen dem Vergessen entreißen, denn 80 Menschen haben durch Bombardierung und Blindgänger ihr Leben verloren“, sagte Susanne Menges, bevor an der großen Leinwand die Namen aller Kriegsopfer zu lesen waren.

Textquelle: Mitteilungsblatt "Haiger heute", Ausgabe 322 vom 8. April 2023