Chancen und Risiken für den Wald


Wäre der deutsche Wald ein Patient, dann würde es sich um einen Kranken handeln, der auf der Intensivstation liegt. Viel zu trockene und zu heiße Sommer in Verbindung mit extremen Aktivitäten des Borkenkäfers haben dafür gesorgt, dass in Deutschland viele tausend Hektar Wald bereits irreparabel geschädigt oder tot sind. Auch an Haiger ist diese Entwicklung nicht vorüber gegangen. Revierförster Sebastian Biener schilderte jetzt im Haigerer Haupt-, Finanz- und Hessentagsausschuss die Folgen des Klimawandels sowie die Risiken und Chancen für den Stadtwald Haiger. 

Der Ausschuss nahm die umfangreichen Informationen zur Kenntnis und beschloss, dass die Verwaltung eine Vorlage zur Zukunft des Haigerer Stadtwaldes vorlegen soll. Dies könne in einer der nächsten Sitzungen geschehen. Biener berichtete, 2018 sei deutschlandweit das wärmste und sonnigste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen. Außerdem eines der niederschlagsärmsten seit 1881. Im Folgejahr 2019 habe man Hitzerekorde verzeichnet. „Das war der Auslöser der so genannten Fichtenkalamität. Wir haben eine Massenvermehrung der Borkenkäfer seit 2018 festgestellt“, sagte der Revierförster, der seit dem vergangenen Jahr für den Haigerer Stadtwald und den Eschenburger Gemeindewald zuständig ist. Die Käfer bohren sich in die Rinde, fressen die so genannte Bastschicht und unterbrechen die Nährstoff- und in Teilen die Wasserversorgung der Bäume. Dadurch können die Bäume kein Wasser mehr in die Kronen und keine Nährstoffe mehr in die Wurzeln transportieren. Die Borkenkäfer hatten angesichts der Witterung nicht ein oder zwei, sondern drei bis vier Bruten pro Jahr. Aus einem weiblichen Käfer können innerhalb von ein bis zwei Jahren statistisch rund 390.000 weibliche Käfer werden. 1000 bis 2000 Käfer können eine Fichte zum Absterben bringen. 

Durchschnittspreise für Holz sind in den vergangenen Monaten um 90 Prozent gefallen 

Wie Biener berichtete, wurden in Deutschland 2018 und 2019 rund 80 Millionen Festmeter „Käferholz“ aufgearbeitet. „Das waren Holzmassen, die kaum abzusetzen waren, die Durchschnittspreise fielen teilweise um 90 Prozent“, sagte der Förster. Der Export nach Fernost (China und Südkorea) sei wichtig gewesen, „um das Holz aus dem Wald zu bekommen“. Leider habe die Corona-Krise den Absatz nach China einbrechen lassen. In der ersten Jahreshälfte sei Fichtenholz fast unvermarktbar gewesen. Bestände jünger 50 Jahre seien nicht mehr kostendeckend aufzuarbeiten. Große Flächen müssten wieder bewaldet werden. Betroffen seien hauptsächlich Fichte (95 % der Flächen), aber auch Buchen. „Innerhalb von zwei, drei Wochen kann eine große, an Trockenstress leidende Buche durch Pilzbefall auseinanderbrechen“, schilderte Biener die Problematik. Die Forstwirtschaft müsse sich nun die Frage stellen, wie sich das Klima entwickelt und welche Baumarten dem Klimawandel gewachsen seien. Durch eine Erwärmung um knapp zwei Grad in der Vegetationsperiode könne die Fichte kaum noch existieren, auch die Buche sei gefährdet. Ein klimastabiler „Wald der Zukunft“ stehe vor verschiedenen Problemen: Schneller Anstieg der Temperatur; veränderte Niederschlagsverteilung; häufigere Witterungsextreme. „Das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Klimawandels überfordern oft die Anpassungsfähigkeit der Baumarten“, sagte Biener, deshalb sei eine Risikostreuung durch möglichst viele trockenresistente, standortgerechte Baumarten (z.B. Kirsche, Ahorn, Roteiche oder Douglasie etc.) auf einer Fläche sinnvoll. Der Stadtwald Haiger mit rund 1600 Hektar Baumbestand besteht zu 32 Prozent aus Fichte. Dazu kommen Buche (21), Eiche (21), Kiefer (6), Edellaubholz (6), Douglasie (6) und Lärche. Seit dem Jahr 2018 bis August 2020 wurden im Stadtwald ca. 35.000 Festmeter Fichtenholz geerntet, hinzu kommen noch ca. 10.000 Festmeter alt und frisch befallenes, hauptsächlich Schwachholz – der normale Jahreseinschlag für Fichte liegt zwischen 5000 und 6000 Festmetern. Der Durchschnittspreis liegt heute bei fünf bis sechs Euro pro Festmeter, vorher wurden zwischen 50 und 60 Euro erzielt. Der Erlös bleibt bei der Stadt. 

„Fichten, die älter als 30 Jahre sind, werden in Mittelhessen in den nächsten zwei bis drei Jahren verschwinden“ 

Man könne die Flächen mit schwächerer Fichte sich selbst überlassen, wenn keine Verkehrssicherungspflichten bestehen. Eine kostendeckende Aufarbeitung solcher Bestände sei zu Zeit nicht möglich. „Fichten, die älter als 30 Jahre sind, werden in Mittelhessen in den nächsten zwei bis drei Jahren verschwinden - auch die Buche ist gefährdet“, fasste Biener zusammen. In Haiger gebe es 480 Hektar Fichte-Flächen, davon seien 420 älter als 30 Jahre. Die Forstwirtschaft stehe nun vor der Zukunftsfrage. Nach dem Motto „Die Natur macht das schon“ könne man einfach „nichts tun“. Dann habe man zwischen 60 und 110 Jahren einen Produktionsverlust, könne in dieser Zeit kein hochwertiges Holz ernten, habe aber auch kaum Kosten und einen geringen Personalbedarf. Allerdings gebe es weiter einen Holz-Bedarf, der dann aus anderen Ländern gedeckt werden müsse. „Dort bestünde dann die Gefahr des Raubbaus“, erklärte Sebastian Biener. Eine zweite Option sei es, einen so genannten „klimastabilen Mischwald“ künstlich zu begründen. Das gehe allerdings mit hohen Kosten und einem hohen Personalbedarf einher. Benötigt werde qualifiziertes Fachpersonal. Benötigt würden neben den Pflanzen auch Maschinen für Bewässerung und die Jungwuchspflege. Biener könnte sich eine schnelle Begründung der nährstoffreichen Standorte in südlichen Revierteilen wie Langenaubach, Flammersbach, Haiger und Sechshelden mit möglichst vielen trockenresistenten Baumarten in sinnvoller Mischung vorstellen. Zudem könne man die Möglichkeiten natürlicher Waldentwicklung hauptsächlich im Norden des Reviers ausnutzen. Extremstandorte und Kleinstflächen sollten zunächst unbeachtet bleiben. „Wir brauchen viel Geduld“, meinte Biener, der davon ausgeht, dass in etwa 15 bis 25 Jahre alles wieder bewaldet ist. 

Hohe Kosten für Neuanpflanzung 

Bei etwa 1,3 Millionen Pflanzen müsse mit rund drei Millionen Euro Kosten für Material und Pflanzung gerechnet werden. Hinzu kommen rund 1,5 Mio. Euro für 126 Kilometer Zaun und/oder Einzelschutz, weil ohne Schutz bei den deutlich zu hohen Wildbeständen (Tendenz steigend) keine Wiederbewaldung mit Wirtschaftsbaumarten möglich sei. Ebenfalls rund 1,5 Millionen Euro (ca. 6000€/ha) kostet die Kultur- und Jungwuchspflege.