Schatzkammer der Geschichte


„Museen sind Schatzkammern unserer Geschichte“, sagte Bürgermeister Mario Schramm. Und seit dem vergangenen Sonntag kann eine dieser Schatzkammern – das Stadtmuseum am Haigerer Marktplatz – neu erforscht werden. Am „Internationalen Museumstag“ wurde im Beisein von Landrat Carsten Braun (CDU), Dr. Birgit Kümmel vom Hessischen Museumsverband, Stadtverordnetenvorsteher Bernd Seipel (CDU) und zahlreichen geladenen Gästen das neue „Haigerer Stadtmuseum“ eröffnet. Ein Museum, das sich mit den Themen Leben und Arbeiten in Haiger befasst und – wie Dr. Kümmel erklärte – „neu erfunden hat“. Das (inoffizielle) Motto ist prägnant: „14 Mal Haiger“. 

Ebenfalls zu Gast waren Vertretungen der Museen aus der Nachbarschaft und der Region, die Planer sowie Teile des städtischen Museumsteams mit An-dreas Rompf, Sibylle Kasteleiner, Susanne Menges, Theresa Fetz-Helfert und Lea Siebelist. Viel Aufmerksamkeit erzielten Isabella und Eduard, die Stadtgeschichtsmaskottchen, die in historischen Kostümen dabei waren. „Isabella“ (Leonie Jahnke), geboren als Prinzessin Isabella Charlotte von Nassau-Dietz, hatte nach dem großen Stadtbrand  1723 den Menschen der Stadt durch eine großzügige Geldspende geholfen. Sie wäre heute stolze 267 Jahre alt. „Eduard“ Schumachers aus Viersen (Clemens Rompf) wäre heute 192 Jahre alt – er war im 19. Jahrhundert oft in Haiger zu Gast und finanzierte den „Eduardsturm“. Seine Nachfahren  - an der Spitze Ruth Schmitz-Schumachers (95 Jahre) - nahmen mit einer großen Delegation am Museumstag teil und stifteten erneut 9000 Euro für die Erhaltung des Wahrzeichens.

„Haiger hat viel zu bieten und viel zu erzählen“, sagte Bürgermeister Schramm. Um dieses Erzählen und Präsentieren neu zu definieren habe man 2017 mit der Neukonzeption begonnen. Das Ergebnis, ein „Stadtmuseum“, könne sich „weit über unsere Region hinaus sehen lassen“. Alle Beteiligten hätten eine ganz hervorragende Leistung vollbracht, die vom Land Hessen mit einem Zuschuss von 140.000 Euro unterstützt worden sei.

Kulturamtsleiter Andreas Rompf zeigte sich erfreut, dass „das Stadtmuseum wie ein neuer Schmetterling aus seiner alten Hülle schlüpft - anders als das Vorherige, aber darauf aufbauend“. Für die Stadt sei es ein außergewöhnlicher Tag, weil die Auftaktveranstaltung des internationalen Museumstages in der Kleinstadt mit ihren 70 Nationalitäten stattfinde. Die Teilnahme   zahlreicher Gäste bedeute auch eine Wertschätzung für alle, die an dem Aufbau des Stadtmuseums beteiligt gewesen seien.

„Stolz auf unsere Museumslandschaft“

„Wir sind sehr stolz auf unsere Museumslandschaft, ob Greifenstein, Grube Fortuna oder auch das Stadtmuseum Haiger“, sagte Landrat Carsten Braun (CDU). Er dankte auch allen Ehrenamtlichen: „Ohne ehrenamtliches Engagement läuft wenig .“ Er gehe darum, sich immer wieder neu zu erfinden. In Haiger seien Firmen und Schulen in das Museum mit einbezogen worden, das ganz sicher als außerschulischer Lernort eine zentrale Bedeutung erlangen werde.

„Das Museum zeigt Vergangenheit, schafft aber auch Raum für Gegenwart und Zukunft“, fasste Dr. Birgit Kümmel vom Hessischen Museumsverband zusammen. Das Museum sei 1978 eröffnet worden, aber die Anforderung an ein Museum hätten sich in der Zwischenzeit grundlegend verändert. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen hätten für einen „Rückzug ins Private“ gesorgt. Nach Corona besuchten 50 Prozent weniger Menschen kulturelle Einrichtungen als vorher. Glücklicherweise gebe es ein großes Vertrauen in die Institution Museum – Museen seien ein „Anker und Ort des Austauschs und der Orientierung“, und weit mehr als ein Ort für Vergangenes.

Geschichte von Arbeit und Leben eindrücklich erzählt

„Auch im Kleinen lässt sich die Geschichte von Arbeit und Leben eindrücklich erzählen“, sagte die Expertin. Es gehe darum, „Stadtgeschichte nicht als Vergangenes zu betrachten, sondern die Gegenwart einzubeziehen und frisches Licht hereinzulassen“. In Haiger habe sich ein engagiertes Team für die erfolgreiche Realisierung des Vorhabens eingesetzt und sich sinnvollerweise fachliche Expertise von außen dazu geholt. 

Das Museum habe sich zu einem attraktiven Erlebnisort entwickelt. „Kultur kann zum Motor für strukturelle Entwicklungen werden. Haiger hat mit diesem Museum Vorbildcharakter und sendet ein positives Signal in die Region“, schloss Dr. Kümmel ihre Ansprache.

Für die musikalische Umrahmung der Eröffnungsveranstaltung sorgte der Haigerer Pianist Steffen Runzheimer.

Die Innenstadt attraktiver machen

Wie aus dem Heimatmuseum das neue Stadtmuseum wurde

Die Frage ist naheliegend. „Wieso heißt das Heimatmuseum jetzt Stadtmuseum?“ Dr. Daniel Groth vom Büro ConCultura konnte sie im Rahmen der Eröffnungsfeier schlüssig beantworten. Er dankte allen, die den Prozess begleitet hatten, und stellte fest: Das vorherige Museum war in seinen Themen in sich schlüssig und gut durchgearbeitet, aber die Darstellungsweise kam aus einer anderen Zeit. Mit einer neuen Art, geschichtliche Fakten darzustellen, ging auch die Namensänderung einher. Der Slogan „14 Mal Haiger“ soll dokumentieren, dass hier gleichberechtigt alle 14 Haigerer Stadtteile (13 Stadtteile und die Kernstadt) dargestellt werden sollen.

Dr. Groth nannte drei wesentliche Ziele der Neuplanung, die bereits vor acht Jahren begonnen hatte. „Es ging um die Attraktivierung des Museums, das eine Identifikationsplattform für Bürgerinnen und Bürger Haigers und aller Stadtteile werden soll. Gleichzeitig handelt es sich um einen Baustein zur Attraktivierung der Innenstadt und um einen außerschulischen Lernort.“

Das „alte Museum“ sei in sich schlüssig gewesen. Bedeutende archäologische Funde aus dem Haigerer Raum oder historische Handwerke seien anhand von Ausstellungsstücken in großer Zahl dargestellt worden. „Allerdings kam die Darstellungsweise aus den 1970er und 80er Jahre. Viele Museen aus dieser Zeit hätten bei Besuchern ein historisches und volkskundliches Wissen voraussetzen können – das habe sich verändert

Bei der Neukonzeption habe man durchaus vor Problemen gestanden. Das „Haus Fischbach“ sei ein wunderschönes, repräsentatives Fachwerkgebäude, die Räume seien aber sehr klein für Museumsräume. „Wir mussten enge Schwerpunkte setzen, um die Räume angemessen bespielen zu können. Aber welche Schwerpunkte?“, fragte Dr. Groth und gab sich die Antwort gleich selbst: „Wer auf der Autobahn 45 fährt, der sieht neben der prägenden Stadtkirche vor allem eines: Große Firmen wie Rittal, Hailo, Klingspor, Weiss oder Cloos. Ein Stück weiter vervollständigt sich das Bild mit dem Technologiepark Kalteiche, der zahlreiche Firmen beherbergt.“ Haiger sei heute bedeutender Industriestandort in Mittelhessen mit hoch spezialisierten Firmen und Dienstleistern, die zum Teil zu den „Hidden Champions“ ihrer Branchen gehören.

Schon die Kelten nutzten die Kalteiche als „Industriegebiet“

Und eben dieses Gebiet um die Kalteiche war bereits in keltischer Zeit ein Zentrum menschlichen Lebens und Arbeitens, da die Menschen hier die nötigen Ressourcen fanden. „Insgesamt ist die Haigerer Geschichte davon geprägt, wie Menschen zu unterschiedlichen Zeiten mit den teils spärlichen Ressourcen umgegangen sind und mit innovativen Ideen und Produkten etwas bewegten und immer noch bewegen“, sagte der Experte: „Warum also nicht den Schwerpunkt auf das Leben und Arbeiten in Haiger legen?“ Dieser Schwerpunkt zieht sich durch die Ausstellungsräume.

Insgesamt sechs Zeitschnitte  (siehe Kasten oben rechts) von der Frühzeit bis in die Gegenwart dokumentieren dies. Damit andere Themen nicht herunterfallen, gibt es zudem einen Zeitstrahl, der sich anhand von Tafeln von unten bis oben durch das Treppenhaus zieht. Dieser stellt bedeutende Ereignisse der Haigerer Geschichte dar und kann mittels QR-Codes oder dem Buch „Stadtgeschichte für Eilige“ (für zehn Euro in der Touristinfo erhältlich) erschlossen werden.

Ergänzt wird dieser „Streifzug durch die Geschichte Haigers“ durch Vitrinen, die in den Nischen im Treppenhaus untergebracht sind. Sie enthalten zahlreiche Objekte, die mit den Themen des Zeitstrahls korrespondieren oder zu einem Schwerpunktthema wie den Haigerer Stadtbränden.

Für Kinder gibt es begleitend das Bilderbuch „Abenteuer Zeitreise mit Eduard und Isabella“ (zehn Euro Touristinfo).

Themen und Räume des Stadtmuseums

Haiger vor Haiger / Frühgeschichte: Leben und Arbeiten zur Zeit der Kelten: Im Mittelpunkt bedeutende Funde und Grabfunde aus der Zeit.

Haiger wird Haiger / Mittelalter/ Frühe Neuzeit: Stadtwerdung, Aufgaben und Funktionen einer Stadt; Highlight ist ein großes Stadtmodell im 3D-Druckverfahren, das mit der Johann-Textor-Schule Haiger erarbeitet wurde und die Anbindung zwischen Stadt, Schule und Museum dokumentiert. Die Kooperation soll fortgeführt werden. Wissensboxen in jedem Raum sorgen dafür, dass Geschichte auch kindgerecht vermittelt werden kann. Materialien für Schulen werden weiterhin ergänzt.

Haiger wächst / Handwerk und Gewerbe Neuzeit: Hier wird vor allem der Zusammenhang zwischen Bergbau, der hiesigen Haubergswirtschaft und wie diese den weiteren Weg von Handwerk und – später – Industrie vorgezeichnet hat, dokumentiert.

Haiger dampft / Industrialisierung: Darstellung des industrialisierten Haiger, exem-plarisch anhand von Objekten der Zweige Gerberei, Leim- und Filterindustrie. Doch auch die Landwirtschaft als Nebenerwerb spielte bis ins 20. Jahrhundert eine entscheidende Rolle in der Region und wird hier thematisiert. Welche Gerüche hierbei möglicherweise entstanden, kann im Raum in Erfahrung gebracht werden.

Haiger geht weiter / Aufbau und Aufbruch: Ansiedlung und Wachstum von Industrien nach der großflächigen Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg.

Haiger wächst immer weiter / Haiger heute: Die Industrie und die Stadt Haiger heute