„Ich bin kein Heiliger, keine reine Seele, und ich kann auch nicht die Fragen des Lebens beantworten“, soll John Lennon mal gesagt haben. So viel Demut hätte man dem Beatle, der am 9. Oktober 85 Jahre alt geworden wäre, gar nicht unbedingt zugetraut. Doch der Poet und kongeniale Partner von Paul McCartney war wesentlich nachdenklicher und tiefgründiger als es der Fan – und davon gab und gibt es weltweit Millionen – ahnt. Achim Amme und Volkwin Müller stellten in der Langenaubacher Kulturkapelle unter der Überschrift „All you need is love“ einen eher verletzlichen Songwriter vor, der in seinen letzten Jahren vermehrt mit Selbstzweifeln zu kämpfen hatte und eigentlich nur Vater und Ehemann sein wollte.
Die beiden Künstler hatten eine klare Arbeitsteilung: Achim Amme stellte wesentliche Teile aus Philip Normans wegweisender Lennon-Biografie vor, Volkwin Müller sorgte mit phantastischem Gitarrenspiel und gefühlvollem Gesang für den musikalischen Aspekt, der natürlich bei einem Beatles-Abend nicht zu kurz kommen darf.
Die Geschichte des Abends begann im August 1971, als John Lennon – ein Jahr nach der Trennung der Beatles – mit seiner Ehefrau Yoko Ono ins Dakota-Building in New York zog. Seine geliebte Tante Mimmi weigerte sich, mit in den „Big Apple“ zu kommen, weil sie – in weiser Voraussicht – nicht an einem Platz leben wollte, „wo die Leute mit Schusswaffen herumlaufen“.
Ihr Zögling vermisst seine Heimat extrem, genießt aber gleichzeitig die Möglichkeiten in den liberalen Vereinigten Staaten, wo er dem Alkohol zuspricht und die sexuellen Freiheiten dankbar nutzt. Aus geplanten zwei Wochen Alleinurlaub in Los Angeles – wo er unter anderem auf Elton John trifft - werden 14 Monate, und erst Yoko Onos Song „Real Love“ lässt den Entschluss reifen, zur Gattin an die Ostküste zurückzukehren. Wenig später wird Sohn Sean (übersetzt: „Geschenk Gottes“) geboren, und Lennon geht voll in seiner Vaterrolle auf. Dass er seinem „Beautiful Boy“ ein Lied widmet, versteht sich von selbst.
In Lennons Leben gab es nur zwei phantastische Partnerschaften: Paul McCartney und Yoko Ono
Die Ehe mit Yoko Ono, die sich komplett dem Management und der Geldvermehrung widmet, bleibt ein ständiges Auf und Ab. Anfang 1980 scheint etwas Ruhe einzukehren, Ono kommt vom Heroin los, eine gemeinsame Reise auf die Bermudas verläuft vielversprechend. In seinem Leben habe es nur zwei phantastische Partnerschaften gegeben, sagt John: Mit Paul McCartney und mit Yoko Ono. Und beide verliefen alles andere als konfliktfrei.
Doch zu Beginn der achtziger Jahre schein es aufwärts zu gehen. John Lennon ist in den Vereinigten Staaten angekommen, macht als erfolgreicher Musiker die Rolle des Hausmanns salonfähig, fühlt sich „frisch und munter wie nie zuvor“ und erklärt im Interview geradezu euphorisch: „Mit 40 fängt das Leben an.“
Fünf Schüsse
Dass das in seinem Fall nur bedingt stimmt, wir wenig später klar. „Wenn es mich mal erwischt, dann wird vermutlich ein Fan dafür verantwortlich sein“, beweist der Liverpooler erstaunliche Weitsicht. Am 8. Dezember vormittags trifft er auf den Außenseiter Marc David Chapmann, der vor der Tür des Dakota-Buildings herumlungert, und signiert freundlich dessen LP. Anschließend nimmt Lennon einen Song auf und fährt zurück, um noch seinem fünfjährigen Sohn Sean „Gute Nacht“ zu sagen. Vor dem Eingang trifft ihn der geistig verwirrte Chapmann mit fünf Schüssen aus einer Kaliber-38-Pistole – um 23.07 Uhr wird sein Tod festgestellt.
Mit dem Klassiker „All you need is love“ und der Zugabe „You’ve got to hide your love away“ verabschiedeten sich Amme und Müller nach einem Abend, der mehr im Zeichen des Nachdenkens als des Feierns eines Weltstars gestanden hatte.
Die Besucher in der Kapelle applaudierten für ein gelungenes Zusammenspiel zwischen Lesung und Konzert. Ammes ausdrucksstarke Vortragsweise und seine angenehme Sprechstimme sowie Müllers Musikalität machten die Lesung zu einem besonderen Erlebnis.
